Semiotik nach Roland Barthes und ihre Relevanz für PR und Kommunikation: Zwischen Zeichen und Bedeutung:

Was haben ein Werbeplakat, ein Markenname und ein politischer Slogan gemeinsam? Sie alle sind Zeichen – und sie alle transportieren mehr als das, was auf den ersten Blick sichtbar ist. Roland Barthes, einer der einflussreichsten Semiotiker des 20. Jahrhunderts, hat gezeigt, wie tief unsere Alltagskommunikation in kulturelle Bedeutungsstrukturen eingebettet ist und warum dies für die moderne PR- und Kommunikationspraxis aktueller denn je ist. Wer verstehen will, wie Botschaften wirklich wirken, muss mit der Semiotik nach Roland Barthes lernen, Zeichen zu lesen.

Von Prof. Dr. Patrick Peters, Professor für Kommunikation und Nachhaltigkeit und Prorektor für Forschung und Lehrmittelentwicklung an der Allensbach Hochschule

Die Welt, in der wir leben, ist nicht nur durch Objekte, Handlungen und Sprache strukturiert, sondern auch durch Bedeutungen, die wir diesen Dingen zuschreiben. Ob wir ein rotes Tuch als modisches Accessoire, als Symbol des Protests oder als Warnsignal verstehen – stets interpretieren wir ein Zeichen im Kontext. Genau hier setzt die Semiotik an. Als Wissenschaft von den Zeichen beschäftigt sie sich mit der Frage, wie Bedeutung entsteht. Einer ihrer einflussreichsten Vertreter im 20. Jahrhundert war der französische Literaturwissenschaftler, Kulturtheoretiker und Semiotiker Roland Barthes. Seine Arbeiten bieten bis heute wertvolle Impulse für das Verständnis moderner Kommunikationsprozesse – insbesondere im Bereich der Public Relations.

Jedes kulturelle Objekt potenziell ein Zeichen

Die Semiotik nach Roland Barthes knüpfte an die strukturalistische Semiotik Ferdinand de Saussures an, ging aber über deren formale Betrachtung von Zeichen hinaus. Für Barthes war jedes kulturelle Objekt potenziell ein Zeichen – Kleidung, Werbung, Architektur oder gar das Wrestling. In seinem Werk Mythen des Alltags (1957/2010) untersuchte er Alltagsphänomene, um ihre verborgenen ideologischen Bedeutungen freizulegen. Damit wandte er die Semiotik nicht mehr nur auf Sprache im engeren Sinn an, sondern auf das gesamte kulturelle Bedeutungsfeld. Barthes differenzierte zwischen der ersten Ordnung der Semiose – dem Zeichen als Verbindung von Bezeichnetem (Signifikat) und Bezeichnendem (Signifikant) – und einer zweiten Ordnung, in der diese Zeichen selbst wieder Bedeutungsträger im ideologischen Kontext werden. Ein konkretes Produkt – etwa ein weißer Mercedes – wird in dieser zweiten Ordnung zum Mythos: nicht nur ein Auto, sondern ein Ausdruck von Status, Reinheit oder deutschem Ingenieursgeist (Barthes, 2010).

PR-Material lässt sich semiotisch entschlüsseln

Gerade für PR und strategische Kommunikation ist diese mythologische Dimension zentral. Wer Bedeutungen erzeugt oder verändern will, muss die Mechanismen kennen, mit denen diese Bedeutungen entstehen und zirkulieren. Barthes’ Ansatz zeigt, dass Kommunikation niemals nur Übertragung von Information ist, sondern immer auch kulturelle Konstruktion. Ein PR-Text, ein Werbespot oder ein Unternehmensblogpost fungiert nicht nur als Informationsträger, sondern schreibt dem kommunizierten Objekt auch eine Bedeutung zu – bewusst oder unbewusst. Unternehmen, die sich etwa „grün“ inszenieren, nutzen nicht nur Sprache und Bilder, sondern bedienen sich eines Zeichenvorrats, der tief in kulturelle Vorstellungen eingebettet ist. Das vermeintlich neutrale PR-Material wird so Teil eines komplexen Bedeutungsgefüges, das sich nur mit einem semiotischen Blick entschlüsseln lässt.

Semiotik nach Roland Barthes: Konzept der konnotativen Bedeutung einflussreich

Auch in der Medienanalyse leistet Barthes Pionierarbeit. In Die helle Kammer (1980/2020) untersuchte er die Fotografie als Medium der Bedeutung. Dabei führte er Begriffe wie „Studium“ und „Punctum“ ein, um die ambivalente Wirkung von Bildern zu beschreiben: Während das Studium die kulturell kodierte, lesbare Ebene des Bildes betrifft, verweist das Punctum auf ein emotionales Moment, das individuell „einschlägt“. In der PR bedeutet dies, dass visuelle Kommunikation immer auf zwei Ebenen funktioniert – der kontrollierbaren und der unkontrollierbaren. Bilder in Kampagnen können gedeutet, aber auch missverstanden oder umgedeutet werden, was Krisenpotenzial birgt. Wer professionelle PR betreibt, muss daher mit Barthes sagen: Kommunikation ist nie unschuldig.

Besonders einflussreich für die moderne Kommunikationsforschung ist Barthes’ Konzept der konnotativen Bedeutung. Kommunikation wirkt nicht nur über das, was explizit gesagt wird, sondern über das, was mitschwingt. Der PR-Begriff der „Imagebildung“ ist ohne diese Dimension kaum verständlich. Ein Unternehmen „kommuniziert“ durch Architektur, Dresscode oder Design ebenso wie durch Texte. Barthes macht deutlich, dass diese Zeichenfelder nie wertneutral sind, sondern kulturell geprägt, ideologisch aufgeladen und im Zusammenspiel wirksam. Der kommunikationswissenschaftliche Diskurs hat diese Erkenntnisse aufgenommen und erweitert – etwa im Konzept der „Framing“-Theorie (Entman, 1993), das sich ebenfalls der semiotischen Logik bedient, um mediale Deutungsrahmen zu beschreiben.

Semiotik und Markenkommunikation im digitalen Zeitalter

Die theoretischen Einsichten von Roland Barthes haben ihren Weg längst in die Praxis professioneller Kommunikationsstrategien gefunden. Besonders deutlich wird dies im Bereich des Storytellings und des Brandings, wo Unternehmen gezielt mit Zeichen, Bedeutungen und kulturellen Codes arbeiten, um emotionale Resonanz zu erzeugen. Barthes’ Konzept der konnotativen Bedeutungen hilft dabei, zu verstehen, warum bestimmte Bilder oder Begriffe in der Öffentlichkeit funktionieren – und andere nicht.

Ein aktuelles Beispiel liefert die Nachhaltigkeitskommunikation großer Konsumgütermarken. Unternehmen wie Patagonia oder The Body Shop inszenieren sich in ihrer Markenkommunikation nicht nur über Produkteigenschaften, sondern über eine moralisch aufgeladene Zeichenwelt. Naturbilder, Erdtöne, einfache Typografie und bestimmte Wortfelder wie „Verantwortung“, „Zukunft“ oder „Gemeinschaft“ erzeugen einen Mythos, der über das rein Faktische hinausgeht. Nach Barthes wird hier ein Zeichenkomplex konstruiert, der nicht nur Kleidung oder Kosmetik bewirbt, sondern eine kulturelle Erzählung über Lebensstil, Werte und Haltung anbietet. Der Konsumakt wird semiotisch transformiert – aus dem Kauf eines Pullovers wird ein Statement zur Weltrettung.

Auch politische PR-Kampagnen greifen auf semiotische Mittel zurück, um kollektive Identitäten zu formen. Die „Yes we can“-Kampagne von Barack Obama oder jüngst die „Wir schaffen das“-Rhetorik in der deutschen Flüchtlingsdebatte sind mehr als politische Aussagen. Sie sind mythische Verdichtungen komplexer gesellschaftlicher Prozesse. Die Phrase selbst wird zum Signifikanten, der unterschiedliche Signifikate aufruft – von Hoffnung über Skepsis bis hin zu Angst –, je nach gesellschaftlicher Lesart. Die Wirkmacht solcher Botschaften liegt genau in ihrer Offenheit zur Bedeutungszuschreibung, ein Phänomen, das Barthes in seiner Analyse von Werbeanzeigen oder Fotografien immer wieder betont (Barthes, 2010; Barthes, 2020).

Zeichen sind nicht beliebig steuerbar

Ein weiteres aufschlussreiches Fallbeispiel ist das Rebranding von Facebook zu Meta. Mit dieser Umbenennung wurde nicht einfach ein neuer Unternehmensname eingeführt, sondern eine ganze Bedeutungswelt neu kodiert. Das alte Zeichen „Facebook“, das mit sozialen Netzwerken, Datenschutzskandalen und digitaler Öffentlichkeit assoziiert wurde, wurde durch „Meta“ ersetzt – ein Begriff, der Zukunft, Technik, abstrakte Räume und Vision evoziert. Semiotisch gesehen handelt es sich um eine strategische Verschiebung des Signifikats: Das Bezeichnende bleibt digital, vernetzt, global – aber das Bezeichnete soll nun Zukunft, Metaversum und Innovation meinen, nicht mehr Social Media im engeren Sinn. Dass solche Umdeutungen nicht immer gelingen, zeigt wiederum, wie tief kulturelle Kodierungen verankert sind und dass Zeichen nicht beliebig steuerbar sind – auch das ist eine Barthes’sche Erkenntnis.

Influencer-Marketing folgt semiotischen Regeln

In der Krisenkommunikation zeigt sich die semiotische Logik besonders zugespitzt. Wenn ein Automobilhersteller wie Volkswagen nach dem Abgasskandal betont, man wolle „Vertrauen zurückgewinnen“, handelt es sich nicht um eine rein inhaltliche, sondern eine symbolische Operation. Sprache wird zum Zeichen der Selbstvergewisserung und Rehabilitierung. PR-Profis greifen in solchen Fällen auf Zeichen zurück, die auf kollektive kulturelle Bedeutungssysteme zurückwirken: Sicherheit, Transparenz, Verantwortung. Ob solche Zeichen überzeugen, hängt davon ab, ob sie glaubwürdig in bestehende kulturelle Narrative eingebettet sind – oder ob sie als künstlich und kalkuliert wahrgenommen werden.

Auch Influencer-Marketing folgt semiotischen Regeln. Influencer:innen fungieren als semiotische Schnittstellen, die Produkte durch ihren Körper, ihren Lebensstil und ihre Sprache in kulturelle Kontexte übersetzen. Ein Smoothie wird zum Symbol für Achtsamkeit, ein Sportoutfit zur Chiffre für Empowerment. Diese Transformation ist nicht zufällig, sondern hochgradig strategisch: Die PR macht sich hier das Barthes’sche Prinzip der „zweiten Ordnung der Bedeutungsproduktion“ zunutze, in der das Zeichen selbst wieder Träger eines neuen Mythos wird – nämlich der Erzählung, das Produkt stehe für ein besseres Leben, eine besondere Haltung oder ein kollektives Ideal.

Zeichenhaftigkeit jedes Kommunikationsakts bewusst sein

Die Konsequenz für die Praxis der PR lautet: Wer professionell kommunizieren will, muss semiotisch denken. Jedes visuelle Element, jeder Slogan, jedes Design, jedes Setting – sie alle sind mehr als Oberfläche. Sie sind Bedeutungsträger in einem kulturellen System. Barthes hat diesen Umstand nicht nur analysiert, sondern entlarvt. Er hat gezeigt, dass in jedem Zeichen auch eine Machtstruktur verborgen liegt. Damit liefert er auch ein kritisches Korrektiv zur gegenwärtigen Kommunikationspraxis, die nicht selten mit Zeichen spielt, ohne deren kulturelle Tiefenstruktur zu reflektieren.

Die Relevanz der Semiotik nach Roland Barthes für PR und Kommunikation liegt also nicht nur in der Analyse bestehender Kommunikationsphänomene, sondern auch in der strategischen Anwendung: Wer eine Marke aufbaut, eine öffentliche Meinung steuert oder eine Botschaft platzieren möchte, muss sich der Zeichenhaftigkeit jedes Kommunikationsakts bewusst sein. Barthes’ Semiotik hilft dabei, nicht nur zu sehen, was kommuniziert wird – sondern wie und warum es wirkt. In einer Zeit, in der Aufmerksamkeit zur Währung geworden ist und Bedeutung ständig neu verhandelt wird, gewinnt Barthes’ semiotischer Ansatz erneut an Aktualität. Die kritische Reflexion über die Herstellung von Wirklichkeit durch Zeichen, Bilder und Sprache ist für die strategische Kommunikation unverzichtbar. Die Semiotik nach Roland Barthes lehrt uns, dass jedes Zeichen zugleich auch ein ideologischer Ort ist – und dass Kommunikation, verstanden als Bedeutungsproduktion, ein zutiefst kultureller und politischer Akt ist.

Bibliographie

  • Barthes, R. (2010). Mythen des Alltags (F. Meinel, Übers.). Suhrkamp. (Originalarbeit 1957)
  • Barthes, R. (2020). Die helle Kammer: Bemerkung zur Photographie (D. Hollier, Hrsg.). Suhrkamp. (Originalarbeit 1980)
  • Entman, R. M. (1993). Framing: Toward clarification of a fractured paradigm. Journal of Communication, 43(4), 51–58. https://doi.org/10.1111/j.1460-2466.1993.tb01304.x