EuGH: Deutsche Allgemeinverbraucherdarlehen überwiegend europarechtswidrig

Mit der Entscheidung vom 9.9.2021 (Az. C-33/20, C-155/20 und C-187/20) hat der EuGH auf Vorlagefragen des Landgerichts Ravensburg gegen die VW Bank und die BMW Bank diverse Fragen zu Verbraucherkrediten geklärt. Die Entscheidung und deren Folgen werden in diesem Beitrag vorgestellt.

Von Prof. Dr. Patrick Rösler, Professor für Bankrecht an der Allensbach Hochschule

Ausgangspunkt der EuGH-Entscheidung

Vor dem Landgericht Ravensburg hatten Verbraucher gegen Autobanken geklagt. Sie hatten ihre Darlehen mit der Begründung widerrufen, dass die Darlehensverträge den Anforderungen des europäischen Rechts nicht genügen würden. Das Landgericht Ravensburg hat dem EuGH daraufhin einige Rechtsfragen zur Entscheidung vorgelegt. Der EuGH hat den Verbrauchern weitgehend Recht gegeben.

Verbundener Kreditvertrag als Information im Verbraucherdarlehensvertrag

Der EuGH beantwortet diese Vorlagefrage des LG Ravensburg eindeutig. Sollte es sich um einen verbundenen Kreditvertrag handeln, sind diese Informationen im Kreditvertrag selbst klar und deutlich anzugeben.

Verbundene Kreditverträge sind solche, bei denen der betreffende Kredit ausschließlich der Finanzierung eines Vertrags über die Lieferung bestimmter Güter oder die Erbringung bestimmter Dienstleistungen dient und diese beiden Verträge objektiv betrachtet eine wirtschaftliche Einheit bilden. Von einer wirtschaftlichen Einheit ist auszugehen, wenn sich der Kreditgeber im Falle der Finanzierung durch einen Dritten bei der Vorbereitung oder dem Abschluss des Kreditvertrags der Mitwirkung des Warenlieferanten oder des Dienstleistungserbringers bedient oder wenn im Kreditvertrag ausdrücklich die spezifischen Waren oder die Erbringung einer spezifischen Dienstleistung angegeben sind.

Solche verbundenen Verträge liegen beim Verbrauchsgüterkauf in der Regel dann vor, wenn die Finanzierung über den Verkäufer vermittelt wird. Das war in den hier vorliegenden Fällen des Autokaufs mit Finanzierung auch der Fall.

Verzugszins und dessen Anpassung: Angabe im Verbraucherkreditvertrag

Im deutschen Recht ist der Verzugszinssatz im BGB geregelt. Nach § 288 BGB beträgt er bei Beteiligung eines Verbrauchers 5%-Punkte über dem Basiszinssatz. Der Basiszins ist in § 247 BGB geregelt. Er verändert sich zum 1. Januar und 1. Juli eines jeden Jahres um die Prozentpunkte, um welche die Bezugsgröße seit der letzten Veränderung des Basiszinssatzes gestiegen oder gefallen ist. Die aktuelle Höhe wird jeweils von der Deutschen Bundesbank bekannt gegeben.

Nach dem Urteil des EuGH genügt ein Verweis auf diese Vorschriften und die Angabe B+5% künftig nicht mehr. Dem Verbraucher ist der bei Vertragsschluss gültige Zinssatz konkret anzugeben, also z.B. der Verzugszins beträgt derzeit 4,8%. Außerdem muss der Änderungsmechanismus verständlich erläutert werden. Dazu dürfte sich anbieten, den Verbraucher auf die Veröffentlichung der Bundesbank für die jeweilige Höhe zu verweisen und die zweimal jährliche Anpassung im Kreditvertrag zu erläutern.

Diese Vorgabe kann für künftige Darlehensverträge ohne weiteres umgesetzt werden.

Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung: Erläuterung im Darlehensvertrag

Der EuGH fordert von den Banken, dass im Kreditvertrag die Methode für die Berechnung der bei vorzeitiger Rückzahlung des Darlehens fälligen Entschädigung in einer konkreten und für einen Durchschnittsverbraucher leicht nachvollziehbaren Weiseanzugeben ist, so dass dieser die Höhe der Vorfälligkeitsentschädigung anhand der in diesem Vertrag erteilten Informationen bestimmen kann.

Die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung wurde vom BGH in den letzten 25 Jahren in mehreren Entscheidungen vorgegeben. Er ist finanzmathematisch darum hochkomplex, um eine für beide Vertragsparteien möglichst faire Höhe zu ermitteln (Zu den Einzelheiten siehe Rösler/Wimmer/Lang: Vorzeitige Beendigung von Darlehensverträgen, Handbuch zur Vorfälligkeitsentschädigung, München, 2. Auflage 2021).

Der BGH hatte sich im Urteil vom 5.11.2021 (XI ZR 650/18) bereits zu dieser Frage geäußert und die nach Art. 247 § 7 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB erforderliche Information über die Berechnungsmethode des Anspruchs auf Vorfälligkeitsentschädigung als klar und verständlich und damit ausreichend angesehen, wenn der Darlehensgeber die für die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung wesentlichen Parameter in groben Zügen benennt. Diese Vorgabe war in der Praxis nicht einfach, aber immerhin umsetzbar.

Der EuGH geht über diese Anforderung deutlich hinaus. Der Verbraucher muss nun in leicht (!) nachvollziehbarer Weise im Darlehensvertrag erklärt bekommen, wie er die Höhe der Vorfälligkeitsentschädigung selbst bestimmen kann. Dies ist in der Praxis faktisch nicht umsetzbar.

Wie werden Banken damit umgehen?

Die Frage ist, wie die Banken damit umgehen werden. Das Urteil des EuGH gilt zunächst nur für Allgemeinverbraucherdarlehen, also nicht für Immobiliarverbraucherdarlehen. Bei diesen gelten ohnehin Grenzen für die Vorfälligkeitsentschädigung in Höhe von 0,5 bzw. 1% des vorzeitig zurückzuzahlenden Betrages (§ 502 BGB). Es ist nun keine AGB-rechtlich zulässige Lösung, die Vorfälligkeitsentschädigung immer anhand dieser Grenzen zu bemessen, denn sie könnte ja auch darunter liegen und dann würde die Regelung den Verbraucher unangemessen benachteiligen. Aber aufgrund der eher geringen Höhe der Entschädigung wäre vielleicht eine Möglichkeit, überhaupt keine Entschädigung mehr zu verlangen, den Verbraucher im Darlehensvertrag darüber transparent zu informieren und die Kosten dafür in den Zinssatz einzupreisen.

Eine andere Möglichkeit wäre, dass der Verbraucher durch eine einfache und nachvollziehbare Beschreibung im Darlehensvertrag die Entschädigung selbst ausrechnen kann. Wie dies allerdings funktionieren soll, wenn selbst Bankmitarbeiter, Rechtsanwälte und Verbraucherschützer die Vorfälligkeitsentschädigung nicht ohne Einsatz spezialisierter Software berechnen können, bleibt völlig offen. Vielleicht wäre ein Ansatz, dem Verbraucher über eine Linkangabe im Darlehensvertrag Zugang zu einer Berechnungssoftware zu gewähren, damit er jederzeit eine Berechnung selbst durchführen kann? Die Frage ist nur: Ist das dann noch transparent, wenn der Verbraucher die Rechenweise der Software nicht kennt? Bedarf es dann einer Erläuterung, wie die Software rechnet plus der Möglichkeit der konkreten Nachrechnung?

Verwirkung und rechtsmissbräuchliche Ausübung eines Widerrufsrechts

Der EuGH legt gegen die bisherige Rechtsprechung des BGH fest, dass es der Bank verwehrt ist, sich gegenüber der Ausübung des Widerrufsrechts auf den Einwand der Verwirkung zu berufen, wenn eine der Pflichtangaben im Kreditvertrag fehlt, unabhängig davon, ob der Verbraucher von seinem Widerrufsrecht Kenntnis hatte, ohne dass er diese Unkenntnis zu vertreten hat.

Außerdem darf die Bank im Fall der Ausübung des Widerrufsrechts durch den Verbraucher keinen Rechtsmissbrauch annehmen, wenn eine der Pflichtangaben im Kreditvertrag fehlt. Das ist unabhängig davon, ob der Verbraucher von seinem Widerrufsrecht Kenntnis hatte.

Dies bedeutet einen erneuten „Widerrufsjoker“ für derartige Darlehen. Insbesondere die Themen Angabe des Verzugszinssatzes und Nachvollziehbarkeit der Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung dürften in praktisch allen deutschen Verbraucherdarlehensverträgen nicht im Sinne des EuGH geregelt sein, so dass ein Widerrufsrecht für den Verbraucher besteht.

Fazit und Ausblick

Diese Entscheidung des EuGH zieht massiven Änderungsbedarf am bisherigen Verständnis des Verbraucherdarlehensrechts nach sich. Wie diesen Vorgaben in der Praxis gefolgt werden kann, ist gerade für das Thema Vorfälligkeitsentschädigung völlig unklar. Bestandsdarlehen sind jetzt für die Bank mit dem Risiko des Widerrufs durch den Verbraucher belastet.

Bisher beziehen sich diese Vorgaben nur auf Allgemeinverbraucherdarlehen und nicht auf Immobiliarverbraucherdarlehen. Bei diesen ist die Frage der Vorfälligkeitsentschädigung wesentlich brisanter und wirtschaftlich von hoher Relevanz. Sollte der EuGH seine Rechtsprechung auch auf diese Darlehensart ausweiten, kommen wirkliche Probleme auf die Banken und am Ende auch auf die Verbraucher zu. Denn wenn die Vorfälligkeitsentschädigung auch bei diesen Darlehen in den Darlehenszins eingepreist werden muss, werden Immobilienfinanzierungen teurer.

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