Generative KI-Lösungen im Gesundheitswesen: Potenziale und aktuelle Hindernisse

Das Gesundheitswesen benötigt eine digitale Transformation aufgrund von Bevölkerungswachstum, veränderten Krankheitsbildern und steigenden Kosten. Generative KI-Modelle, wie GPT, bieten großes Potenzial zur Verbesserung der Effizienz und Effektivität der Gesundheitsversorgung, insbesondere durch Automatisierung von Administrationsprozessen und Unterstützung bei der Diagnose. Die Implementierung dieser Technologien erfordert jedoch Modernisierungen der Digitalinfrastruktur, insbesondere verbesserte Interoperabilität und anpassungsfähige rechtliche Rahmenbedingungen.

Noah Boenninghausen, M.Sc., ist Senior Business Analyst und Teil des Healthcare Teams bei BearingPoint. Sein Fokus liegt auf der Untersuchung und Entwicklung zukunftsfähiger Lösungsansätze im Gesundheitswesen.

Prof. Dr. Volker Nürnberg lehrt an der Allensbach Hochschule BWL, ist Head of Healthcare bei Bearingpoint und ist Mitglied der Ethikkommission beim Bundesgesundheitsministerium.

Das Gesundheitswesen steht vor einer digitalen Transformation. Welche Notwendigkeit eine derartige Neustrukturierung hat, wird bei der Betrachtung diverser Entwicklungen deutlich: Das rasante Wachstum der Weltbevölkerung stellt die bestehende medizinische Infrastruktur vor ein stark asymmetrisches Angebot – Nachfrage Verhältnis (Pfannstiel et al., 2020). Ein sich wandelndes Krankheitsspektrum mit der Zunahme multimorbider und chronischer Krankheitsbilder resultiert in einem wachsenden Bedarf an interdisziplinärer und transsektoraler Zusammenarbeit (Ortloff und Schmitz, 2024). Die sich abzeichnende Anspruchsinflation stellt das Gesundheitswesen aufgrund stetig steigender Kosten neuster Behandlungsleistungen und innovativer Medizintechnik zudem vor eine Kostenexplosion (Zhu et al., 2019). Die Herausforderungen im Gesundheitswesen führen bereits jetzt zahlreiche Kliniken vor den Konkurs. Gelingt uns eine entsprechende Transformation nicht, muss künftig die Bereitstellung von Gesundheitsleistungen verschärft unter Anwendung des RRP – Paradigmas (Rationierung, Rationalisierung und Priorisierung) erfolgen, was die Gewährleistung des grundlegenden Solidaritätsprinzips im Gesundheitswesen stark gefährden könnte (Henke et al., 2022).

Folgerichtig bedarf es Alternativlösungen, welche veraltete Prozess-, Kommunikations- und Verwaltungsstrukturen durch innovative, solidarische sowie bezahlbare Lösungsangebote ersetzen. Künstliche Intelligenz (KI), Big Data und tragbare Computertechnologien eröffnen in Verknüpfung mit innovativen Managementansätzen erhebliche Innovationspotenziale, um Antworten auf die zunehmenden Mittelknappheiten im Gesundheitswesen zu finden (Zhang und Kamel Boulos, 2023). So ist zu beobachten, wie Wissenschaftler:innen, Expert:innen und Unternehmer:innen derartige Innovationen aufgreifen und den Gesundheitsmarkt mittels technologischen Fortschrittes neu skizzieren. Zentraler Baustein in einer derartigen Neustrukturierung ist dabei die ubiquitäre Nutzung Künstlicher Intelligenz (KI). Unter den sich schnell entwickelnden KI – Technologien weisen insbesondere generative KI – Modelle, wie die von OpenAI entwickelten Generative Pre-Trained-Transformer (GPT) – Modelle, bemerkenswertes Potenzial für die bestehenden Herausforderungen im Gesundheitswesen auf (Zhang und Kamel Boulos, 2023). Durch die Nutzung großer Vitaldatenmengen und Wissen können GPT-Modelle verschiedene Aspekte des Gesundheitswesens verändern und eine neue Ära der klinischen Entscheidungshilfe, der Patientenkommunikation und des Datenmanagements einleiten (Chui et al., 2023). Ihr Potenzial, komplexe medizinische Informationen zu verarbeiten, zu interpretieren und somit umfassende Prozessstrukturen zu automatisieren, hat bemerkenswerten Optimismus hinsichtlich ihrer transformativen Auswirkungen auf die Gesundheitspraxis geweckt (Nova, 2023).

Doch wo werden Entwicklungen wie die der generativen KI-Modelle hinführen? Nimmt generative KI in Zukunft tatsächlich eine zentrale Figur in unserem Gesundheitswesen ein und ermöglicht es, komplexe Interaktionsprozesse zu revolutionieren, um folgerichtig notwendige Quantensprünge in der Effizienzsteigerung zu realisieren?

Methodisches Vorgehen

Ziel der Untersuchung ist es, das Potenzial und die zentralen Herausforderungen generativer KI-Lösungen im Gesundheitswesen anhand folgender Forschungsfragen zu untersuchen:

  • F1: Inwieweit kann durch die Implementierung generativer KI-Lösungen die Effizienz

und die Effektivität der Versorgungsleistung verbessert werden?

  • F2: Welche Anpassungen in der Digitalinfrastruktur sind notwendig, um die Potenziale

generativer KI-Lösungen auszuschöpfen?

Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurden zehn Expert:innen nach einem standardisierten Fragebogen interviewt. Die Auswertung der qualitativen Inhaltsanalyse wurde nach dem Verfahren von Mayring (2015) vorgenommen. Die Antworten der Fachkundigen wurden induktiv Kategorien zugeordnet und bilden aufbauend auf der vorab durchgeführten Literaturrecherche die zentralen Ergebnisse der Arbeit.

Von der Dokumentation bis zur Diagnose: Anwendungsfelder generativer KI-Modelle im Gesundheitswesen

Die Anwendungsfälle generativer KI-Lösungen sind laut der befragten Expert:innen vielfältig. Der primäre Fokus der Sprachmodell-Lösungen adressiert jedoch insbesondere die verbesserte Mensch-Maschine-Interaktion, indem durch Spracherkennungssysteme und Chatbots natürlichere und effizientere Kommunikations- und Entscheidungswege realisiert werden können. Demnach ist zu erwarten, dass generative KI-Modelle zukünftig in Form von effizienzsteigernden Service-Solutions in den Gesundheitsmarkt eingeführt werden und dabei sowohl zentrale Administrationsprozesse rationalisieren als auch bestehende Versorgungsmodelle grundlegend neu strukturieren.

Generative KI-Modelle sollen primär als Assistenzsystem fungieren und sowohl Ärzt:innen als auch Patient:innen in Ihrem Alltag unterstützen. Den größten Nutzen können generative KI-Lösungen aktuell aufgrund geringerer Regulationshürden im Aufgabenbereich der klinischen Administrationsprozesse generieren. Durch die automatische Erfassung, Strukturierung und Speicherung relevanter Inhalte fortlaufender Arzt-Patienten-Interaktionen, entsteht die Möglichkeit, den Fokus der Versorgung auf die Patient:innen zu konzentrieren und die Dokumentationslast der Ärzt:innen und Pflegekräfte zu automatisieren. Somit werden Abläufe nicht lediglich effizienter, sondern ebenfalls effektiver und menschenzentrierter gestaltet. Darüber hinaus werden generative KI-Anwendungen auch in hochregulierten Anwendungsbereichen Einführung finden. Demnach ist zu erwarten, dass Ärzt:innen durch generative KI-Lösungen in Form von Chatbots bei der frühzeitigen Erkennung multimorbider Krankheitsbilder sowie der Ableitung individueller Handlungsoptionen zunehmend unterstützt werden. Im nicht regulierten Sport- und Wellnessmarkt hingegen gewinnen generative KI-Lösungen insbesondere dann an Bedeutung, wenn Sprachmodelle in Wearable Technologien implementiert werden. Somit ermöglichen sie den Anwender:innen neben der permanenten und ortsunabhängigen Vitaldatenerfassung einen interaktiven Dialog zur Auswertung und Interpretation sensibler Vitaldaten. Folglich wird durch die nutzerfreundliche Auswertung generierter Rohdaten mittels ChatBots die Nischenbewegung „Quantified-Self“ massentauglich. Daher gilt es, dass sich zunehmend wandelnde Rollenverständnis der Patient:innen durch die Verfügbarkeit und dem daraus entstehenden Potenzial digitaler und intelligenter Assistenzsysteme in die Entwicklung zukünftiger Versorgungspfade einzubeziehen.

Warum uns die Einführung innovativer KI-Lösungen bisher nicht gelingt und welche Anpassungen es dafür braucht

Trotz des enormen Potenzials generativer KI-Lösungen im Gesundheitswesen bleibt ihre breite Implementierung bislang aus. Die Gründe hierfür sind laut der befragten Expert:innen vielschichtig. Zentral für die Entwicklung und Einführung entsprechender Lösungen ist die Modernisierung der bestehenden Digitalinfrastruktur, insbesondere durch die verbesserte Interoperabilität heterogener Systemlandschaften. Demnach müssen kompatible Datenarchitekturen im Rahmen von Plattformlösungen geschaffen werden, sodass eine interdisziplinäre und transsektorale Interaktion in einem offenen Datenaustausch zwischen Ärzt:innen, Patient:innen, Forscher:innen und Entwickler:innen resultiert. Der Datenzugang wird insbesondere dann relevant, wenn heterogene Innovationscluster wettbewerbsfähige, europäische Modelle entwickeln und für die Anwendung in hochsensiblen Gesundheitsbereichen bereitstellen sollen. Um in Europa jedoch innovationsfördernde Marktdynamiken voranzutreiben, muss der Markteintritt für Start-Ups erleichtert werden – etwa durch den Zugang zu relevanten Daten und der Förderung von Pilotprojekten im Rahmen von Kooperationsmöglichkeiten. Zentral für den Implementierungsprozess generativer KI-Lösungen sind außerdem Anpassungen rechtlicher Rahmenbedingungen. Zwar müssen die Sicherheitsvorkehrungen für KI-Anwendungen in gesundheitsbezogenen Anwendungsfeldern dringend eingehalten werden, jedoch ist bei der Gestaltung zukünftiger Regularien dringend auf die innovationshemmende Natur von Regulierungen zu achten. So entsteht zunehmend die Gefahr durch orthodoxe Hierarchien, rigiden Leistungsinstanzen und einem starren Marktordnungsrahmen, relevanten Innovationstreibern den Markteintritt erheblich zu erschweren. Um den Herausforderungen im Gesundheitswesen jedoch mit innovativen Antworten zu begegnen, braucht es ein Marktordnungsrahmen, welcher diese zulässt.

Abschließend ist festzuhalten, dass die Ergebnisse aus den Expert:innengesprächen die zuvor identifizierten Potenziale und bestehenden Hindernisse aus der Literaturrecherche bestätigen. Das Potenzial generativer KI-Lösungen ist erheblich. Um diese jedoch auszuschöpfen, muss ein Neudenken inkompatibler Systemstrukturen folgen, welche bislang zentralen Innovationspotenzialen jegliche Entfaltung versperren.

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